Das Märchen von der Prinzessin und dem Froschprinzen, betrachtet durch eine saublöde Schutzbrille

Märchen/Geschenkbuch für Prinzessinnen und Frösche (Auszug)

Es ist einmal eine Prinzessin – oder sind es tausende – die sucht einen Prinzen. Unsere Prinzessin, Dorabella genannt, steht daher auf Frösche.

Sitzt sie doch einer uralten Mär auf vom Frosche, der sich in einen Prinzen verwandeln konnte.

Da sich blindes Küssen der Frösche bisher nicht bezahlt gemacht hatte und die zarten Lippen der Prinzessin gefährdet waren, vorschnell zu altern, kommen die Hofdamen und Berater überein, dass es andere Methoden geben müsse, um herauszufinden, welcher der Frösche einen Kuss wert sein könnte.

So werden die verschiedensten Verfahren entwickelt, ein schriftlicher hochkomplexigenter Intelligenztest, eine komplizierte psychologische Überprüfung, ein körperlicher Check-up inklusive MRT und Röntgen, eine monatelange Durchhaltevermögensprüfung…
Wer dies alles überstanden hat, kann darauf hoffen, vor die Prinzessin geführt zu werden. Man reicht Dorabella das Monokel. Man reicht ihr eine Brille. Man reicht ihr eine Lupe…
Doch alles, was sie sieht, sind Frösche!
Es ist zum Kronerunterraufen!
Wie soll Dorabella nur einen echten Prinzen unter den Quakern entdecken? Ja, der ein oder andere singt besonders schön, spielt überzeugend Schlagzeug, tanzt leidenschaftlich oder kann klug daherquaken. Aber dennoch, ein jeder Frosch, den die Prinzessin küsst, bleibt, was er war. Frosch. Nix als Frosch.

Nun, ich kann verraten, es gibt einige wenige, die den Zauber einer weisen Hexe nutzen. In einer Mondnacht nehmen sie die trügerische Gestalt eines Prinzen an. Doch schon beim nächsten Neumond verwandeln sie sich mit Pardauz in Frösche zurück.
Bäh, ist das eklig!

Alsbald nähert sich Prinzessin Dorabella den Fröschen nur noch mit einer Schutzbrille. Geschliffen vom besten Glasermeister Zeissius. Durch diese kann sie die Frösche sehr genau betrachten. Gleichzeitig vertuscht die Brille durch ihren besonderen Schliff (dies auf Bitten des Herrn Königs!) deren Froschtum. So dass die Prinzessin nun von manchem Frosch sogar ein wenig angetan ist. Doch die Frösche sehen wiederum entschieden zu wenig von der Prinzessin, finden sie und hüpfen des Öfteren quakend von dannen.

Die Prinzessin schaut bald gar nicht mehr auf, wenn es vorm Schlosstor quakt. Sie verkriecht sich immer öfter in ihr Turmzimmer und malt. Oder sie geht shoppen. Oder ausreiten. Oder sie spielt Klavier, lernt Schach, Bridge und Backgammon. Trainiert Pilates, Yoga und Stepaerobik. Undsoweiter und so fort.
Als der neue Frühling anbricht, die Lerchen über den Feldern jubilieren und die Knospen knospen geht Prinzessin Dorabella hinaus in den Garten. Sie sieht die Vögel schnäbeln und Nester bauen. Sie sieht die Schmetterlinge küssen. Sie sieht die Libellen in herzförmiger Vereinigung fliegen.
Und da erwacht in Dorabellas Herzen die Sehnsucht. Pup, pup, pup… Wie ein kleiner Vogel hüpft das Prinzessinnenherz.
„Ich will doch mal wieder schauen, was die Frösche so treiben. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht einen Prinzen finde!“
Als wie üblich die Freierstunde beginnt, blickt Dorabella zum ersten Male wieder auf. Und Voila! Genau in diesem Moment, tritt er herein. Stattlich ist er, mit einem blendenden Lächeln und treuen braungrünen Augen himmelt er die Prinzessin an.
„Prinz Ollivander“ stellt sich der Schöne vor, und auch seine Stimme umschmeichelt das zarte Prinzessinnenohr.
„Der gefällt mir“, spricht Dorabella zu ihrer 1. Hofdame. „Veranstaltet umgehend einen Ball, ich will sehen, ob er tanzen kann.“
Als die Musik einsetzt, nimmt Prinz Ollivander die Prinzessin Dorabella in die starken Arme. Seine Haut ist weich und riecht nach Chanel. Barbierella schnuppert und schnuppert. Nein, nicht das kleinste bisschen Froschgeruch! Aber merkwürdigerweise riecht sie auch keinen Prinzen. Nur Chanel.
Naja, egal, das muss der Prinz sein, auf den ich all die Jahre gewartet habe, sagt sich Dorabella. Und vor der Kammertür küsst sie ihn. Und….
… der Prinz bleibt ein Prinz. Jetzt ist er einer mit sanften, zarten, warmen Lippen. Nix von Froschlippen, überhaupt nix. Prinz Ollivander hat sich nicht in einen Frosch verwandelt. Das war also endlich der Richtige. Mister Right. The one and only. Superman, Loverboy, The endless Love. Dorabella und Ollivander: The dreamteam.
Von nun an küsst die Prinzessin den Prinzen viele, viele, viele Male.

Dorabella schwebt auf rosafarbenen Wolken. Schon malt sie sich die schönsten Bilder aus, was sie mit ihrem Prinzen erleben würde. Nur abends, wenn sie ihre Schutzbrille auf den Nachttisch legt, kommen ihr gelegentlich ein oder zwei Dinge an Prinz Ollivander in den Sinn, die sie seltsamerweise an einen Frosch erinnern. Dann setzt sie schnell wieder die Brille auf und träumt sich in die Arme ihres Prinzen.

Alsbald jedoch macht die Prinzessin eine Entdeckung: In des Prinzen Auge schimmert Froschfarbe durch. Und seine Haut leuchtet manchmal leicht grünlich. Doch die Prinzessin Dorabella zieht ihre Schutzbrille enger vor ihre Augen. Seltener kommt Prinz Ollivander aufs Schloss, seltener küsst er Dorabella zärtlich. Sein Lächelns wird merkwürdig froschlippig.
Und eines Tages, nach einer langen Zeit des Wartens und Bangens…