Fußballplädoyer einer Antifußballerin

„Fußball, Fußball, hey hey hey, Fußball find ich voll okay…“ brüllt meine sechsjährige Tochter, während sie auf dem Bett rumhüpft wie ein heißgelaufener Gummifrosch.
Vor kurzem tanzte sie noch artig in Spitzenschuhen zu Tschaikowsky. Ich werfe einen mütterlich besorgten Blick auf sie, dann lächele ich und setze mich an meinen Laptop. Ich habe beschlossen, ich schreib jetzt wat über Fußball, verdammt! Sind doch alle gleich verrückt gerade, Männer, Frauen, Kinder…
Ja, Fußball ist ein Virus. Also ansteckend. Nein, er ist keine Religion, er produziert zwar Legenden, aber keine Götter, und das runde Leder anzubeten ist ein schöner Zeitvertreib, aber keineswegs ein heiliger, bewusstseinserweiternder. Und Fußball ist auch keine Wissenschaft, auch wenn man eine draus machen kann.
„Wie, DU guckst Fußball???“ wurde ich erstaunt am 9. Juni gefragt, als ich meine Abendplanung bekannt gab. Ihr müsst wissen, ich habe vor kurzem ein Gedicht gegen Fußball veröffentlicht. In einer Antifußball-Anthologie. Die ist ROSAfarben. Ja, ich bin stolz darauf. Und ja, ich habe trotzdem die Spiele angeschaut.
„Warum auch nicht,“ sage ich achselzuckend. In Berlin zumindest kommt man eh nicht daran vorbei. In allen Cafes und Parks stehen die Riesenplasmateile rum und zeigen den schöööönen grünen Stadionrasen mit dem Beingewimmel drauf.
Das Spiel Portugal gegen Mexico verfolgte ich im Straßencafe. Zwei Männer mit Kinderwagen schlenderten vorbei, in ein gemütliches Gespräch vertieft. Sie warfen weder dem Bildschirm noch mir, der auf die Röhre stierenden Frau, einen Blick zu.
Nein, ich habe nicht alle Spiele gesehen. Manche. Aber die anderen habe ich angehört. Aus meinem Fenster. Kommt man gar nicht drum herum, auch wenn man nur gemütlich auf dem Balkon sitzen will mit dem Gläschen Prosecco, man hört es: Zuerst die gebannte Stille, die ganze Stadt atmet nicht und man würde gern reinpieksen, wenn man wüsste, wo sie kitzelig ist, damit sie wieder atmet, nicht, dass sie noch platzt. Aber dann atmet sie plötzlich ganz laut und es ist ein „Aaaaaah“.
Auf unterschiedlichste Art und Weise. Wenn`s danebenging oder ein gegnerisches Tor war, ist es meist ein abfallend intoniertes Ah, mit leicht sächsischem Oh-Einschlag. Wenn das Leder drin war, ist es natürlich ein jubelndes, nicht enden wollendes klares AAAAAAAH, das sich blitzartig ausbreitet von Haus zu Haus (meine Nachbarn, die von Gegenüber, der Rest der Stadt). Den Spielstand weiß ich am Ende des Spieles jedenfalls immer.
Ja, ich mag Sport. Diesen auch. Ein wenig. Weil ich mit zwei Fußballern zusammen war. Nein, nicht gleichzeitig. Ich mag Fußball, weil es ein Ballsport ist und ich jahrelang Volleyballerin war, und seiner Taktik wegen. Ich mag Taktik. Wenn nicht gerade 22 Mann armeschlenkernd auf der Wiese rumstehen und rumspucken. DAS mag ich nicht. Ich mag Doppelpässe. Und die Hinterlist von Abseitsfallen. Ja, ich weiß sogar, was Abseits ist und das nicht erst seit dem 9. Juni diesen Jahres.
Fußballkommentare mag ich nicht, aber ohne ist auch langweilig. Und dann sind da noch die Statistiken, ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Kommentare (der Reporter ebenso wie aller anwesender Männer), die mag ich nur, wenn sie witzig sind, ich traue keiner, die ich nicht selber gefälscht habe. Statistisch gesehen habe Polen noch nie in seinem ersten Spiel… gewinne Stürmer XY 87% seiner Zweikämpfe. Werde Deutschland in Deutschland immer Weltmeister. In keiner anderen Sportart habe der Heimvorteil so viele Vorteile. Ja, hat ja auch keine andere Sportart so viele treu ergebene Fans, deren Herz nur für Fußball zu schlagen scheint. Wohlgemerkt für den MÄNNERfußball. Weiß irgendeiner, dass unsere Mädels amtierender Weltmeister sind?
Und ist Fußball Kultur? Und vor allem: Ist Fußball eine Art Krieg?
Ja, sage ich, irgendwie schon. Aber es muß auch gesagt werden: Fußball ist allemal besser als Krieg.
Die Fußball-WM immerhin trennt die bunten Gummibärtüten, in denen Fußballer sonst zu Mannschaften gemischt werden, sprich zusammengekauft, was ich NICHT mag. Fußball nationalisiert. Gut, okay, die Nationen waren ja schon vorher da. Nein, Patriotismus mag ich auch nicht. Trotzdem, beim Fußball bleibt es wenigstens nur bei ein paar Bänderrissen und ein paar Schürfwunden. Hoffentlich.
Und von mir aus kann die Statistik, dass Deutschland in Deutschland immer… auch bestätigt werden. Muss aber nicht. Nicht, dass ich am Ende doch noch wie damals vor sechzehn Jahren die Nacht auf dem Autodach verbringe und brülle: Fußball, Fußball hey hey hey… und „We are the… “

PS: Mein Lieblingsitaliener, dem ich bei Entgegennahme meiner Eiskugel viel Glück fürs Halbfinalspiel wünschte, sagte nur lächelnd: „Möge der Beste gewinnen.“ Und dem ist nichts hinzu zu fügen.