Veröffentlicht in Lit.-Info des Ferber Verlages, Köln 2/2003
Waren Sie schon einmal in Durasien? Wo das sein mag, fragen Sie? Zwischen zwei Buchdeckeln, zwischen allen Büchern der Marguerite Duras. Aber schon in jedem einzelnen finden Sie das vollständige Durasien, das Land der Duras, das Land ihrer Worte, ihrer Sätze. Ein Land, das einlädt. Es gibt immer Wasser dort, einen Fluß mindestens, ein Meer wahrscheinlich, ein mitreißendes, verschlingendes Gewässer. Manchmal gibt es Dschungel und Fliegen und Krankheiten, manchmal Tod. Immer gibt es Leidenschaft und Liebe und Verzweiflung. Vor allem gibt es das Innen, Gefühle, Wahrheiten, eingebettet in das Außen, egal ob Indochina oder Frankreich. Zwischen diesen Ländern wurde die Seele der in Indochina aufgewachsenen Französin Marguerite Duras hin und hergerissen. Ebenso zwischen der Liebe und dem Haß ihrer Mutter, zwischen der Liebe und der Lust, dem Exzess und der Leere, zwischen dem Leben und dem Schreiben.
Einem neuartigen poetischen Stil hatte sich Marguerite verschrieben, einem Stil, den sie nie mehr ablegen sollte, den manch einer nicht durchschauen, nicht verstehen konnte. Sie lebte für das Schreiben. »Wenn ich schreibe, sterbe ich nicht«, sagte sie, betrieb das Schreiben ebenso exzessiv wie alles andere, wie das Trinken, wie die Liebe. Bis zu ihrem Tod am 3. März 1996 im Alter von 82 Jahren liebte sie, schrieb sie.
Den »Liebhaber« ihrer Jugend, den kennen Sie sicher. Dann gäbe es zum Beispiel noch die Liebe der Geschwister im »Sommerregen« zu entdecken
»Die Liebe, sagt Ernesto, bereute er.
Die Liebe, wiederholt Ernesto, bereute er über sein Leben, über seine Kräfte hinaus. Die Liebe zu ihr.«
»Aurelia Steiner«, die ewig junge Schreiberin,
den »Schmerz« der Frau, die ihren Mann aus dem Krieg zurückerwartet,
»Es gibt keinen besonderen Grund, warum er nicht zurückkommen sollte. Es gibt keinen Grund, warum er zurückkommen sollte.
»Die Krankheit Tod«, die Verzweiflung der »Emily L.«, die Unmöglichkeit der Liebe in »Hiroshima mon amour«, »Die Liebe«, immer wieder die Liebe …
»Ich sehe Sie an. Ich sage zu ihnen:
-Liebe wie Verzweiflung leben.
Sie lächeln, und ich lächele Ihnen gleichfalls zu.
-Von überall fliehen wie Verbrecher.« Aus »Emily L.«
Einige der Texte mögen sich dem Verstand entziehen, doch sie wirken, entfalten ihr Eigenleben tief in uns. M.D. sprach immer die Seele an, diesen Abgrund, in den sie ihre Wörter stürzen ließ. Öffnen muß man sich, fallenlassen, dann, nur dann gelangt man nach Durasien, und man kommt vielleicht melancholisch, auf alle Fälle reich und bereichert zurück. Denn für Marguerite Duras war »Das Schreiben … stärker als alles, … stärker als alle Gewalt.« Und deshalb sind es auch ihre Bücher, ist das Land ihrer Worte stärker als alles.