Wellenschweigen

Scharfkantig schneidet Sonne
dein fremdvertrautes Gesicht
aus den Nebeln unserer Nähe
setzen wir Füße in Strandweiß

Augenblicks gehen uns Jahre verloren
wer grübe sie aus
unter der Wellen Schlag
frisst Zeit sich fest

Im Nebel ein Singen
berührt Handflächen
tragen Zittern und Mauerseelen
möwenschnell

Saphirgrün das Meer
legt zahm sich zu Füßen der Zeit
klippenhoher Ton singt Rot
die Stirnen falten verlorene Wege
und streichen sich glatt

Möwenblicke bewachen
die Grenze zwischen Welt und Himmel
verlieren auch heute
dämmerwärts

Wellenschweigen senkt sich
über dein Auge
in dem ich ruhe unbewegt
atme ich übers Wasser
und Welle um Welle bricht
still

Tangolyrik

Foto: Hagen Schröter

veröffentlicht in »Resonanz« und »Edition der Dichterhandschriften«, Brentano-Gesellschaft, Frankfurt 02

TANGO

rot
der zigarrenrauch verhüllt
nichts bleibt von draußen
der schuh gewechselt

augenwärts bewegung
werben wortlos
zugreifen
handverwoben der anfang
umarmt

schritt folgt nah
auf dem fuße gedreht
weich das becken achtet
das eine das andere ist
alles

oberleibverwunden
mittig das sein & das ihre reagiert
verständig

absatz verstreichelt
z e i t
am hosenbein hinauf
ins geschlossene auge
beobachtet

akzentuiert der ton zuletzt
trennt hände
zwei paar zuviel
worte
gewechselt der schuh

TANGO
Für M.M.

Blicklos schaue ich
in dich hinein
erkenne mich an deiner Mitte

Wir richten uns auf
aneinander
zum Grunde gehen

Nicht die kleinste Bewegung
trennt uns

TANGO (IN DER STRANDBAR)
Ich versande
an nächtlichen Quellen der Spree
schöpfe mit den Augen Lust
Die alte Musik des Mondes
dreht mich im Kreis

Meine Gedanken laufen
kreuzweise an mir vorbei
ich fasse keinen mehr
bin rand- und maßlos
übervoll

Zerregne mich gewittergleich
über alle Tänzer
und gebäre ihnen
tausende Melodien
in den Morgen

ERFORDERLICH

Du sagtest FORM
Ich zerfloß

Du sagtest GRENZE
Ich schoß darüber hinaus

Du sagtest GLEICHGEWICHT
Ich kippte um und riß dich mit

FLIESSEN
Meine Hand fließt
in deine Hand
von deinem Schweiß getränkt
lasse ich sie dir

Mein Blut fließt
in deines
von deiner Mitte geführt
nehme ich die meine wahr

Mein Atem fließt
in deine Wange
von deinem Geruch getränkt
nehme ich ihn zurück

Mein Körper fließt
in deinen Körper
von der Musik getragen
nimmst du mich hin

Ich fließe in dich
von deinem Sein durchtränkt
nehme ich mich zurück

Unter Wasser

Unter Wasser gehe ich
im Grün deiner Augen gefangen
gehe ich
unter Wasser zu dir
gehe ich
mit dir verflochten
tentakelgleich ein jedes Haar
jeder Gedanke umschlingt meinen Hals
von dir gehe ich
wieder und wieder
aus deinen Armen Händen Augen
gehe ich

Atem holen zur Oberfläche

zu ertrinken nicht an dir
um dich lieben zu können
gehe ich