Die Zitronenkrankheit


(veröffentlicht in der Sinn-Bar, 2007)

Sie kennen das sicher: Sie sind sauer. Stinksauer.
Warum? Weil Ihr Schatz sauer ist.
Warum er oder sie sauer ist? Na weil Sie sauer sind…

Wie zwei Zitronen säuern sie sich durch den Tag. Mit Mienen wie ebendiese. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Geteilte schlechte Laune ist doppelt schlechte.

Ich nenne diesen Zustand Zitronenkrankheit. Ein hartnäckiger Zustand, und schwierig zu heilen. Wenn nämlich einer der beiden sich einen Moment lang überwände und sich vorsichtig der anderen Zitrone näherte, liefe er mit ziemlicher Sicherheit gegen eine quietschegelbe Wand. Der andere hätte plötzlich vergessen, dass er nur sauer ist, weil der eine sauer ist, und es spielt keine Rolle, dass der andere nun offensichtlich nicht mehr sauer ist. (Ist der im Übrigen ja auch sogleich wieder!)

Säuernis ist ansteckend wie die Pest. Säure ist ätzend und frisst sich in Seele und Gesicht der Partner fest, manchmal sollen die Gesichter auf Dauer sogar eine ungesunde gelbe Farbe bekommen.
Von kurzer Dauer ist die Zitronenkrankheit, wenn man sich aus dem Weg gehen kann. Ein paar Stunden Auto fahren, ins Kino oder Joggen gehen oder eine Nacht friedlich alleine schlafen hilft in der Regel, sich danach an den neuen gemeinsamen Genesungsversuch zu machen. Meistens reicht dann ein Lächeln, ein zuckersüßes.
Wenn es auch nur einen kurzen Moment gibt, an der BEIDE die Zitronenschale durchbrechen, stehen die Chancen gut.
Aus dem Weg gehen ist also das Beste. Doch was ist, wenn man gerade im Urlaubsflieger sitzt oder bei Schwiegermama auf dem Sofa, was ist, wenn man sich also weder aus dem Weg gehen kann noch seine Säuernis zu zeigen oder gar zu versprühen vermag? In einem südlichen Land, da können Sie wenigstens letzteres.
„Die streiten sich wenigstens öffentlich!“, quetschte meine andere Zitrone zwischen den Zähnen hervor, während wir im Urlaub in südlichen Gefilden weilten.
„Kannst du auch haben“, blaffte ich und nahm säuerlich grinsend einen der schönen südlichen Tontöpfe mit Zitronenbäumchen zur Hand…

Was kann man nun also tun gegen die Zitronenkrankheit? Ich kritzele Ihnen hier mal kraft meiner psychologisch-fundierten Selbstheilerfahrung ein paar Blanco-Rezepte:

I Reden
Reden soll helfen, sagt man jedenfalls. Wenn man es denn vermag, undefinierbare Stimmungen zu artikulieren, unrettbar verstrickte Stimmungsknäule zu entwirren.
Weißt du, Schatz, ich war vor einer Stunde mental gerade nicht in der Lage, dir zu folgen, weil ich melancholisch war. Laut Freud ist ja die Melancholie eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt. Aus diesem Grunde habe ich wohl für einen Moment übersehen, dass du gerade auf Metaebene mit mir über Quantenmechanik disputieren wolltest, doch ich konnte aufgrund meiner Verinnerlichung deinen Bedürfnissen nicht nachkommen, da ich deine Abstraktionen über Wahrscheinlichkeit irrtümlicherweise auf Beziehungsebene zog und mich wegen deiner distanzierten Sachlichkeit…
Wenn Sie das können, vor allem, bevor Sie so sauer sind, dass Sie vor lauter Sauersein gar nicht mehr nachdenken können, dann herzlichen Glückwunsch! Es ist beinah eine übermenschliche Leistung, ein Wunder geradezu.

II Lachen
„Wir sind nie sauer aufeinander“, sagte einmal ein Pärchen zu mir. Einer mache dann einfach einen Witz und der andere müsse lachen. Hervorragende Methode. Wenn man’s kann. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Komisch nur, dass mich mein Humor immer in den entscheidenden Momenten verlässt, und schließlich, so finde ich, könnte ja auch der andere, der hat doch schließlich zuerst so sauer reagiert…
Nachtrag: Diese beiden sind inzwischen nicht mehr zusammen. Nur der Vollständigkeit halber. Probieren Sie die Methode aber bitte trotzdem.

III Ignorieren
Die säuerliche Stimmungslage einfach zu übersehen und zu übergehen kann sie sozusagen ihrer Existenzgrundlage berauben. Der Trick: Man muss nur dran glauben. Oder am besten nix merken. Und auch wenn wir uns genau das permanent vorwerfen (Du verstehst mich nicht!!! Merkst du überhaupt noch was?!?), ist Nichtmerken gar nicht so einfach. Sie werden an dieser Stelle schnell merken, dass sie sich gegenseitig doch ganz gut kennen. Denn Sie sehen doch, dass der andere eigentlich sauer ist, auch wenn er so tut, als wäre nichts.
„Was ist los, Schatz?“ „Nix…“
Sie können das so inbrünstig sagen, wie Sie wollen, selbst der ignoranteste Kerl glaubt das alsbald nicht mehr. Sehr miteinander vertraute Paare haben es besonders schwer mit dieser Krankheit. Sie werfen sie sich quasi wie einen Ball hin und her, hin und her, äh, Entschuldigung, die Zitrone.

IV Streiten
Als zivilisierte Menschen sprechen wir hierbei natürlich vom konstruktiven Streit. Der ist allerdings ein theoretisches Konstrukt. Denke ich. Fürchte ich. Ich hab ihn noch nie erlebt. Auch nicht gesehen bzw. gehört. Aber es soll ihn geben. Man muss nur daran glauben, glaube ich. Und üben, üben, üben!

Wie auch immer, irgendwie hat man es dann schließlich mit der ein oder anderen Strategie geschafft. Die Zitronenkrankheit ist besiegt. Geheilt.

Aber Vorsicht, Seien Sie gewarnt: Die Rekonvaleszenzzeit ist nicht zu unterschätzen. Ein unbedachtes Wort, und schon erleidet einer einen schlimmen Rückfall. Und die Zeit, die es dann bis zur Genesung dauert, verlängert sich proportional, während insgesamt komischerweise die Zeit der beiderseitigen Gesundheit immer kürzer wird.

Wie gut nur, dass man manchmal, zwischen den verflixten Krankheitsschüben auch einfach fröhlich ist. Warum? Weil man den Erdbeermund des anderen küsst. SÜÜÜÜSSSS…
Oder vielleicht auch einfach, weil Schatzi so grundlos fröhlich ist…