Das Glücksrezept

(Veröffentlichungsreifes Geschenkbuch, bitte das gesamte Manuskript bei Interesse anfordern)

1. Kapitel, in dem der Koch der Glückssuppe Nö zum großen Glück sagt

Es gab einen Koch, der kochte die beste Suppe der Welt.
Das Besondere an der Suppe war nicht, dass sie unvergleichlich schmeckte oder besonders schön aussähe oder besonders satt machte. Das Besondere war, dass sie glücklich machte. Jeden, der sie aß. Schon kurz nachdem man den Löffel im Mund gehabt hatte und die warme Flüssigkeit die Kehle hinunter geflossen war, spürte man es: Erst wurde einem ganz warm im Bauch. Dann ums Herz. Und dann stieg blubbernd ein Lachen in einem auf. Und dann fühlte man sich mit allem auf der Welt verbunden. Und dann so frei, dass man meinte, fliegen zu können.
Deshalb nannte man die Suppe: Glückssuppe.
Der Koch, Geraldo mit Namen, war der glücklichste Mensch, den man je sah. Nicht, dass er besonders reich gewesen wäre. Nein, Geraldo lebte mit seiner Frau, seinen drei Kindern und seiner Katze in einem kleinen alten Häuschen und hatte ein kleines altes Restaurant an einer Straßenecke. Er hatte kein Auto, kein dickes Bankkonto und keine Yacht.
Es war nicht so, dass Geraldo besonders schön gewesen wäre. Geraldo sah eigentlich ganz normal aus, nicht gerade wie Brad Pitt oder George Clooney. Und doch, wenn man ganz genau hinschaute, war er etwas ganz Besonderes: Er hatte unzählige Lachfalten um die mandelbraunen Augen. Diese schauten so voller Güte und Neugier in die Welt, dass man ihnen am liebsten alle Geheimnisse anvertrauen wollte. Und in seinen Mundwinkeln hing immer ein Lächeln. Es fiel dort niemals heraus. Manchmal fragte sich gar jemand, ob Geraldo Sekundenkleber dafür benutzt hatte. Denn selbst wenn die brummeligsten Leute in Geraldos kleines Restaurant an der Ecke kamen und grimmig eine Suppe bestellten oder ihn anblafften, blieb das Lächeln dort, wo es war.
Es war auch nicht so, dass Geraldo besonders mächtig gewesen wäre. Er hatte keine große Firma, keine Sekretärinnen und nicht mal einen Laufburschen. Er servierte die Suppe sogar selbst. Und dennoch war und blieb er der glücklichste Mensch, den man je sah. Ob das vielleicht an der Glückssuppe lag, die nur er kochen konnte?
Die Glückssuppe, das behaupte jeder, der sie je aß, schmeckte köstlich. Doch jedes Mal ein wenig anders.
„Oh, es ist bestimmt Zitronengras darin“, rief ein Gast. „Nö“, sagte der Koch.
„Oh“, rief ein anderer, „es ist Ingwer und Kürbis darin“. „Nö“, sagte der Koch
„Verrat uns das Rezept“, baten die anderen Köche. „Nö“, sagte der Koch.
„Schreib ein Kochbuch“, baten die Verleger. „Nö“, sagte der Koch.
„Mach eine Kochsendung“, baten die Produzenten. „Nö“, sagte der Koch.
„Du bekommst auch viel mehr Geld!“ versprachen die Produzenten. „Du wirst steinreich!“
„Nö“, sagte der Koch Geraldo und ging zurück in sein kleines Haus zu seiner Frau und seinen drei Kindern und seiner Katze. Er kochte weiterhin jeden Tag in dem kleinen Lokal an der Ecke seine berühmte Glückssuppe nach seinem geheimen Glücksrezept.

2. Kapitel, in dem zwei Konkurrenten und ein Lehrling zum Koch kamen und Bekanntschaft mit dessen Lieblingswort schlossen

In der Stadt eröffnete bald ein Schnellrestaurant, das Glückssuppe verkaufte. Man bekam dort eine Schale mit einer grünen Brühe und ein fettes rosa Marzipanschwein zum Nachtisch. Ja, man konnte sogar aus dem Auto heraus bestellen. Doch diese Glückssuppe, die man auf irgendeinem Parkplatz aus einer Plastikschale löffelte, schmeckte nach gar nichts. Und glücklich machte sie auch nicht. Trotzdem liefen und fuhren die Leute immer wieder ins Schnellrestaurant.
„Haben Sie keine Sorge wegen dieser Konkurrenz?“ fragten die Reporter. „Nö“, sagte der Koch.
Bald lief im Fernsehen eine Werbung für Glückssuppe. Ein Schwein mampfte Glücksklee und rülpste dann laut. Die Werbung versprach, man könne Dosen mit Glückssuppe im Supermarkt kaufen. Doch diese Suppe schmeckte nach gar nichts. Und glücklich machte sie auch nicht.
Der Besitzer des Schnellrestaurants und der Besitzer der Dosensuppenfabrik merkten schnell, dass die Suppe den Leuten nicht schmeckte. Und sie erst recht nicht glücklich machte. So verabredeten sie sich im Schnellrestaurant.
Der dicke Besitzer Roland rollte auf den dürren Karl, den Besitzer der Dosensuppenfabrik zu. Sie schüttelten sich die Hände, als seien sie schon immer Freunde.
„Wir brauchen das Rezept der Glückssuppe“, flüsterte Roland vertraulich. „Ganz genau“ bestätigte Karl. „Jedoch, Geraldo ist stur wie ein Ochsenschwanz.“
„Wenn Geraldo es nicht verrät“ schlug Roland vor, „dann müssen wir eben spionieren!“ „Abgemacht!“ antwortete Karl. Die beiden Männer schüttelten einander noch einmal die Hände.
Und sie gingen zusammen in Geraldos kleines Restaurant und setzten sich an einen Tisch.
„Geraldo, lieber Kollege“, flötete Roland, als der Koch an ihren Tisch trat. „Sie schaffen das nicht allein. Verraten Sie uns doch das Rezept der Glückssuppe, wir helfen Ihnen, den Bedarf zu decken!“
„Nö“, sagte der Koch. Die beiden Männer sahen sich an. Roland verdrehte die kleinen Augen. „Na dann bitte zweimal Glückssuppe“ bestellte Karl. Der Koch nickte freundlich und verschwand in der Küche, um die Suppe zu bereiten.
*
Eines Tages kam ein junger Lehrling aus einer fernen Stadt zum Koch. Er war groß und dünn, als sei er zu schnell gewachsen. Seine langen Arme schlenkerten herum, als wisse er nicht, wohin mit ihnen. Auf seinem Gesicht tanzten tausend Sommersprossen. In den großen braunen Augen jedoch hockte die Traurigkeit wie eine junge Amsel. Doch zugleich blitzte das Feuer der jugendlichen Neugier darin.
„Guten Tag, ich heiße Arwed“, sprach er den Koch an. „Bilden Sie Köche aus?“
„Nö, sagte der Koch.
„Ich möchte aber lernen, wie man die berühmte Glückssuppe kocht.“
„N… na gut“, sagte der Koch.
Dann schwieg er und rührte in seinem Topf.
„Und wie“, drängte Arwed, „ist das Glücksrezept? Verraten Sie es mir?“
„Nö“, sagte der Koch.
„Och menno“, sagte Arwed, „aber Sie haben doch ’na gut’ gesagt!“
„Jawohl “, sagte der Koch Geraldo, „denn du wolltest lernen, wie man die Glückssuppe kocht. Das kannst du gern tun.“
„Aber wie denn, ohne das Rezept?“
Der Koch zuckte nur lächelnd die Schultern.
Jeden Tag bat der Lehrling Arwed den Koch Geraldo um das Rezept. Doch der Koch sagte immer Nö. Eines Abends, als die beiden zusammen die Suppenteller spülten, sagte Geraldo schließlich:
„Weißt du, mein Junge, das Geheimnis ist, es gibt gar kein Rezept. Du kannst es jedoch selbst herausfinden.“
Arwed schüttelte den Kopf. Er meinte, der Koch müsse verrückt sein. Oder ein Lügner. Doch er nahm sich vor, ihn genau zu beobachten. Irgendwann müsse er an das Geheimnis der Glückssuppe kommen, so meinte er.